Ästhetisches Konstrukt aus Licht und Bewegung, Klang und Musik, entwickelt von Gustav Gisiger und Michael Sievert.
Gegenbild zur virtuellen Welt aus Laser und Holographie, die Transformation von Licht und Klang als vergängliches, flüchtiges und bewegliches Element zum Symbol der Vorläufigkeit und des Spekulativem.
Erfindungsreiches Spiel mit Ordnung und Chaos. Ein Licht- und Klangraum als synästhetisch wirksames Gesamtkunstwerk
Das "théâtre imaginaire" von Gustav Gisiger and Michael Sievert.
Ein Text von PD Dr. Beatrix Nobis, Kunstwissenschaftlerin, Uni-Hildesheim (Auszüge):
Heute, mehr als achtzig Jahre nachdem Laszlo Moholy-Nagy das "Lichtrequisit einer elektrischen Bühne" erfand, einen "Apparat zur Demonstration von Licht- und Bewegungserscheinungen", glauben wir uns weit entfernt von den kindlich anmutenden Experimenten der frühen Avantgarde mit den fossilen Energiequellen ihrer Zeit.
Die technischen und elektronischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte haben uns nicht nur das mediale Zeitalter beschert, sondern sich auch in Kunst, Theater und Videoperformance als feste Größen etabliert.
Doch Laserstrahl und Holographie, die wohl effektvollsten der optischen Innovationen, haben inzwischen den Reiz der visuellen Sensation weitgehend eingebüßt:
Sie sind kaum noch mehr als eine Varieténummer, ein Mittel zur Erzeugung augentäuschender Taschenspielertricks und illusionistischer Verwirrspiele.
Ihr Zauber war erloschen, sobald er durchschaut wurde; ein Schicksal, das mit ihnen so manches künstlerische Medium teilt, das seine ästhetische Botschaft einer multilateral nutzbaren, rasch der Gewöhnung und deshalb der Gewöhnlichkeit anheimfallenden Technologie anvertraut.
Der Regisseur Gustav Gisiger und der Komponist Michael Sievert haben einen Licht- und Klangraum mit dem Titel "théârtre imaginaire" entwickelt, der auf die Camouflage-Taktik virtueller Projektionen verzichtet.
Ihr technisches Equipment ist erfindungsreich und ausgefeilt, gründet jedoch nicht auf dem Imponiergehabe, das heute so gerne in den alchimistischen Laboratorien der Computer-industrie praktiziert wird.
Der technische Apparat spiegelt die Methodik des Schöpfers, er bleibt transparent als ein Ereignis, das sich von der Idee bis zu seiner Verwirklichung autonom entwickelt hat.
Diese Authentizität der Ausdrucksmittel macht nicht nur in einem ganz pragmatischen Sinne unabhängig von einem Stab geistiger Zulieferer, sondern prägt auch den Anspruch der Inszenierung, die dialektisch genannt werden kann, weil sie auf das Grunderlebnis des synästhetisch wirksamen "Gesamtkunstwerkes" abzielt, und zugleich die Fragwürdigkeit dieses Strebens als Gestaltungsmittel mit einbezieht.
Das "théârtre imaginaire" ist ein ästhetisches Konstrukt aus Licht und Bewegung, Klang und Musik.
Es ist ein Produkt, das mit dem Zufall arbeitet und doch als kalkuliert, nämlich als Abfolge subtil zusammenklingender, optischer und akustischer Operationen wahrgenommen wird.Es demonstriert in ironischer Ambivalenz zugleich seine "mechanische" Unzulänglichkeit und besitzt deshalb auch etwas von einer Bühnenhandlung, die den dramatischen Moment auskostet und zugleich in den Zustand der vorläufigen und anfechtbaren Äußerung überführt:
Die Illusion enthüllt sich mit kultivierter Beiläufigkeit als Schöner Schein, freigegeben zum Spiel mit Ordnung und Chaos und deshalb reserviert für den, der die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik und des Lichts als Therapeutikum gegen die medial inszenierte Auszehrung von Skepsis und Vernunft versteht.
Gisigers und Sieverts "théâtre imaginaire" ist der Idee von Moholy-Nagys "Lichtrequisit", auch Oskar Schlemmers "Triadischem Ballett" und Nicholas Schäfers "luminodynamischen" Konstruktionen näher als jedem audiovisuellen Medienspektakel unserer Zeit.
Es ist das Gegenbild einer virtuellen Welt, die sich unentwegt zu konkretisieren vorgibt und doch nichts anderes bietet, als den matten Abglanz einer Wirklichkeit, welche sich umso eindeutiger als unwahr entlarvt, je mehr sie glaubhaft machen will, sie sei das geeignete Medium zur pragmatischen Bewältigung einer nicht mehr als "Eigenes und Erlebtes" empfundenen Gegenwart.